Donnerstag, 19. Juni 2014

Tag 84: Wie es zu einer alten Noseländischen Weisheit kam


So... nochmals Zeit für eine Noseländische Sage. Konträr zur Wetterlage!

Wie eine alte Noseländische Weisheit entstand...

Es war einmal ein junger Schneemann auf Noseland, der ins Alter kam, in dem er gerne ein hübsches Schneefräulein kennengelernt hätte. Das war aber gar nicht so einfach: in der weiten Tundra Noselands gab es nämlich sehr wenig Schneefräuleins, und wenn unser junger Schneemann mal eines im Schneetreiben entdeckte, so befand er es allzu schnell für zu jung, zu alt, zu schön, zu hässlich, zu dumm, zu intelligent für sich: schlicht war er wohl vor Schüchternheit zu unbeweglich um überhaupt nur einmal die Nähe eines durchaus holden weiblichen Wesens zu suchen.

Ein andermal war das begehrte Schneefräulein schon vergeben und zeigte ihm nichts als die kalte Schulter. Andere wiederum waren zu cool, um die Nähe eines jungen Schneemanns vom Lande zuzulassen. Oder es ging wie letzten Winter, als unser junger Schneemann über längere Zeit die Nähe einer unglaublich zarten Schneedame mit schneeweisser Haut suchte, sie ihm gar Avancen machte und er schon sein Herz zu öffnen begann, und in dem Moment, als er ihr einen Antrag machen wollte, er diese laut jauchzend mit einem andern, älteren und erfahreneren Schneemann auf seinem grossen Schlitten davon sausen sah und unser Schneemann den ganzen Sommer über in einer triefenden Depression untertauchte.

Gerade rechtzeitig auf den Winter hin erholte sich unser junger Schneemann wieder aus seinem psychischen Tief und beschloss, nochmals einen Angriff auf die unergründliche Weiblichkeit zu wagen. Er unternahm nun vom ersten Schneefall an alles, um an sein Ziel zu gelangen. In seinen Träumen sah er sich im Kreise seiner Allerliebsten und zwei kleiner, lebensfroher Schneekinder an der paradiesischen Nordgrenze Noselands stehen. Doch in Realität fand sich diesem Winter keine, die ihm auch nur das Herz um ein kitzekleines Grad Celsius erwärmt hätte im Süden war keine, im Westen waren sie zu jung, im Osten zu hässlich und im Norden schon vergeben.

Da zog im späten Februar ein weitgereister Schneemann durch Noseland und als er vom traurigen Schicksal unseres jungen Schneemanns erfuhr, ging er zu ihm hin und erzählte ihm von Wien, wo weit und breit die schönsten Schneefrauen stünden.

Kurzentschlossen suchte sich unser Jüngling auf Googlemap den kürzesten Weg von Noseland nach Wien, setzte seine russische Fellmütze auf und wanderte hoffnungsvoll gegen Osten. Beim Böhler stieg er hoch, überquerte alle Aargauer Hügel und zottelte an der Habsburg vorbei nach Zürich, wo er keinerlei Schneefräulein begegnete, das ihn auf seinem Weg gebremst hätte, er stapfte quer durch die Ostschweiz, würdigte die dortigen Schneefräuleins keines Blickes, stieg entschlossen zum Arlberg hoch und durchquerte tapfer das Tirol. Auch hier konnte ihn kein Schneefräulein von seinem Weg abbringen. Er überquerte den Inn, beim Goldenen Adler in Innsbruck stutzte er, zwischen all den teuren Schlitten stand derjenige, der ihm im Vorjahr noch die vermeintliche Herzallerliebste geraubt hatte. Trotzdem kehrte er ein um sich zu stärken. Tatsächlich sah er die beiden an einem Tisch am Fenster miteinander turteln, doch schmerzen tat es ihn nicht mehr, und als er einen Blick auf die Preise geworfen hatte, wusste er, dass er am falschen Ort war. In der Welt des Mammons hatte er nichts verloren. Herzensfroh ging er wieder seines Weges, liess Salzburg links liegen, liess sich in Linz nicht beirren und kam nach Wien. Als er beim Westbahnhof stand, kam den Gürtel runter ein Schneefräulein des Weges, wie er noch keines so schön und glitzernd gesehen hatte. Sofort verfiel er ihrer Grazie, vor allem ihre prächtige Rübennasse verzauberte ihn. Einige Meter vor ihm ging sie hocherhobenen Hauptes über die Kreuzung an der Metrohaltestelle vorbei, die schwarze Schlaufe am weissen Hütchen schien ihm im Wind zuzuwinken. Er folgte ihr ohne eine Sekunde zu zögern in die Mariahilfer Strasse, bog hinter ihr in die Nelkengasse ein und beobachtete, wie sie beim Tanzcafé Jenseits stehen blieb, kurz den Kopf zu ihm zurückdrehte, einmal blinzelte mit ihren kohlenschwarzen Augen und im Haus verschwand.

Der junge Schneemann war wie verzaubert, fasste sich ein Herz und ging zum Hause hin. Er schaute zur Nummer 3 hoch und läutete. In voller Eleganz öffnete sie ihm, und hauchte: Ich habe dich erwartet!" Sie hiess ihn auf sein Gestammel hin eintreten, nahm ihn freundlichst am Arm als seien sie schon ein Paar und führte ihn in die gute Stube.

Sie setzte ihn aufs Ofenbänkchen, holte schnell ein Glas frische Milch aus dem Kühlschrank und setzte sich -nicht schüchtern- neben unseren jungen hübschen Schneemann, von dessen ungelenken Nervosität sie sehr angetan war. Sie schauten sich tief in die Augen und fielen sich nach wenigen Sekunden wie selbstverständlich, als hätten sie sich ein Leben lang gesucht- überglücklich in die Arme, vergassen die Welt um sich, vergassen die Zeit und vergassen, dass sie auf dem warmen Ofenbänkchen sassen.

Und so kam es, dass sich sich nun auf dem heissen Ofenbänkchen innert Kürze ein weiteres Mal die alte noseländische Weisheit bewahrheitete, dass wenn ein Schneemann die Schneefrau seines Lebens findet, er alsobald dahinschmilzt.

 


 



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