Samstag, 28. Juni 2014

Tag 93: Wie der künftige König das Fürchten lernte

Jetzt noch eine letzte Sage zu Noseland (ehrlich gesagt, die einzige, die im Rahmen dieser Arbeit entstanden ist, die andern waren schon vorhanden):

Damals, als König Bruno der Erste und Letzte von Noseland noch gar nicht wusste, dass er je König werden würde, musste der arme Kerl noch zur Schule gehen. Dort langweilte er sich gar grässlich an manchem Morgen. Zwar fiel ihm das Lernen leicht, doch hätte er gar gerne andere Dinge gelernt als dies trockene Schulwissen.
So klagte seine Mutter oft, dass ihr Sohnemann viel zu spät aus der Schule heimkehre, weil er den Heimweg als Feldforschung betrachte. Im Frühling galt es, die Pflanzenwelt zu bewundern, bei Regen schlich er den Regenwürmern nach, im Winter faszinierten ihn die Schneekristalle und bei Sonnenschein wählte er oft den weiteren Weg dem Hermenbächlein dem Waldrand entlang. Genau dort, wo das Haselbächli in den Hermenbach fliesst, hatte er schon so manchen Molch beobachtet, hie und da sogar einen Salamander entdeckt.
Wie er eines Sommers wieder diesen Weg nahm, ergab es sich, dass er friedlich sinnierend auf seinem Velo über den Kiesweg rauschte, links die satte Wiese bestaunend und rechts ins Wellenspiel des Bächleins blinzelnd. Alles schien ihm traumhaft schön, als er urplötzlich aus seinem Paradies gerissen wurde. Es brauchte einige Meter, bis er sich besann und die Bremse zog, um stehen zu bleiben. Er schüttelte den Kopf: 'Unmöglich! Das kann nicht sein! Was habe ich da gesehen? Nein, das gibts nicht!'
Er entschloss sich, trotz kaltem Angstschweisses, der langsam seinen Rücken runterkroch, umzukehren und sich Gewissheit zu verschaffen.
Wie er einige Meter zurückfuhr, entdeckte er das Objekt, das wenige Zentimeter aus dem Wasser ragte. Tatsächlich: ein Totenkopf!
Sein Herz begann laut zu hämmern. Mord und Totschlag flitzten durch seine Gedanken. Panik bemächtigte sich seiner Muskeln, er stieg aufs Velo und radelteso schnell wie nie zuvor aufgewühlt nach Hause.
Dort traute er sich nicht, von seinem seltsamen Fund zu berichten. Das ganze Mittagessen durch war er abwesend, seine Gedanken kreisten um die Frage, woher dieser Totenschädel wohl käme und was er nun tun solle.
Nach dem Mittagessen war ihm klar, was zu tun sei. Alleine traute er sich nicht an den grauslichen Ort zurück. Also holte er sich Hilfe bei seinem um einige Jahre älteren Nachbarn. In seinem Zimmer besprachen sie die Sachlage und redeten sich gegenseitig mutig, bis sie sich auf die Velos schwangen und zum Totenkopf fuhren.
Zuerst schauten sie nur: ein wunderbares Exemplar, ganz erhalten, alles Fleisch sauber abgefressen, ob Mann oder Frau war ihnen unklar.
Schliesslich nahm der Ältere einen Stecken, fischte den Totenkopf vorsichtig aus dem Bächlein, schwang ihn am Stock über den Weg und liess ihn sanft ins Gras rollen.
Schliesslich getrauten sie sich, den Totenkopf in die Hände zu nehmen und schon bald erscholl erleichtertes Gelächter: der Totenkopf war aus Gummi! Nichts gewesen mit dem wirklichen Grauen.
Später konnten sie in Erfahrung bringen, dass der Kopf von einem Nachbarn, einige hundert meter weiter oben am Bach, stammte, worin ein Arzt wohnhaft war.

Seither weiss König Bruno bei jedem Angstanfall, dass es sich lohnt zuerst die Fakten zu überprüfen, ehe man in Panik verfällt und sich die Gedanken in völlig falschen Vermutungen verirren.



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